Die Übertreibung

"add on. 20 höhenmeter" als "Kunst im öffentlichen Raum"

Das Projekt "add on. 20 höhenmeter" ist neben einer "vertikalen Spielwiese", einer "künstlichen Verdichtung" und einem "begehbarem Environment" auch "Kunst im öffentlichen Raum". "add on" ist tatsächlich sogar eines der ersten großen Projekte, das von der neu gegründeten Initiative "kunst im öffentlichen raum wien" gefördert wird. Die Stadt Wien betritt damit relativ spät ein Feld, das international bereits seit etwa drei Jahrzehnten im Zentrum des künstlerischen und theoretischen Diskurses steht. Strittig ist dabei besonders das Verhältnis von Kunst und städtischem Außenraum. Während in den tendenziell sterilen Museen und Kunsthallen nach wie vor das Paradigma des autonomen Kunstwerks gilt, steht der Außenraum exemplarisch für das nicht-Institutionelle, für reale Lebendigkeit und Dialog, aber auch für vielfältige Konkurrenz, notgedrungene Kompromisse, mögliche Vereinnahmung oder aggressive Ablehnung.

Die Strategien, mit denen die KünstlerInnen auf diese Zwei-Welten-Situation reagierten, haben sich über die Jahrzehnte sukzessive verändert. Der erste avancierte Versuch, nach dem Siegeszug des Autonomie-Anspruchs der Moderne wieder Wirklichkeitsbezug und eine Re-Sematisierung einzubringen, firmierte unter dem Begriff der "site specifity". Die entsprechenden Kunstrichtungen begannen in den sechziger Jahren und hießen Land Art und Minimal Art. Das Werk sollte nun formal mit seinem spezifischen Ort verbunden sein. Man bezog sich auf Maße, Materialien oder sonstige Besonderheiten der Umgebung. Doch besonders in der Weiterentwicklung der Minimal Art verkam die Strategie rasch zur bloßen Rechtfertigung erkenntnisarmer Großplastiken. Später wurde das Bezugsfeld daher auf die historische und politische Geschichte und das Soziale ausgeweitet sowie auf die temporäre Intervention gesetzt. Zum Kontext eines Werkes im öffentlichen Raum gehören heute nicht nur der topografische Aufstellungsort, sondern auch seine Benutzer, nicht nur städtebauliche Funktionen, sondern ebenso die Geschichten und Utopien der Umgebung. Vor allem aber ist den meisten Projekten heute ein Ablaufdatum eingeschrieben. Der Charakter einer "temporären Intervention" lässt einerseits viele Vorwürfe der Störung, Oktroyierung oder Verschandelung des öffentlichen Raumes erst gar nicht aufkommen, andererseits sind viel gewagtere und präzisere Arbeiten möglich. Die Resultate solch einer situationsbewußten Entwurfsphilosophie können immer noch sehr unterschiedlich ausfallen: Sie können Räume, Fanzines oder Diskussionsforen eröffnen, dem schleichenden Anschaulichkeitsverlust unserer Städte lesbare oder erzählende Momente entgegensetzen, historische und politische Dimensionen eines Ortes visualisieren, die Anwohner durch Partizipation oder Befragungen zu Mitwirkende machen.1

Die jüngste Kunstgeschichte zeigt allerdings, dass bei solchen Projekten die Grenzen der Kunst hin zu anderen Berufen leicht verschwimmen: Unter dem Stichwort "Services  Dienstleistung" bietet sich heute manches Kunstprojekt als Ergänzung zur Sozial- oder politischen Lobbyarbeit an, als Motor der Stadterneuerung, als Korrektiv der Architekten, deren Fehlplanungen sie behebt oder denen sie bei der funktionalen Verbesserung der Infrastruktur beispringt, oder schlicht als Instrument des Städtemarketings.

Tatsächlich spielen alle diese Valenzen bei heutigen Großprojekten von "Kunst im öffentlichen Raum" eine zentrale, nicht zu leugnende Rolle. Eine öffentliche Veranstaltung, die nur autonome Skulpturen präsentierte, wäre heute allein demokratiepolitisch schon undenkbar. Und doch ist in der Kunstentwicklung der letzten Jahre eine Tendenz spürbar geworden, die auch den Eigensinn des einzelnen Werkes wieder mehr ins Spiel bringt. Denn was nutzt aller Dienstleistungswille, wenn er nur von Investoren ausgebeutet wird, wenn das Publikum weder kritische Erkenntnisse noch Diskussionsforen interessieren, wenn die Marketingabteilungen der Kommunen und Firmen die bunteren Events organisieren, wenn die Konsumbewerbung mittlerweile selbst die Dissidenz inkorporiert hat, wenn Architekten, Stadtplaner und Sozialarbeiter zwecks Revierverteidigung von der soziokulturellen Kompetenz der Künstler gar nichts wissen wollen?

Auch "add on. 20 höhenmeter" ist als Projekt prinzipiell polyvalent angelegt: Es beinhaltet Elemente des Theaters, der Ausstellung, des Abenteuerspielplatzes. Es nimmt Anleihen bei der Community Art, ist teilweise partizipativ und sicher auch eine Art Stadtevent. Doch bei aller Begehbarkeit der verschiedenen Ebenen und hybriden Räume, trotz der vielen internationalen Gastkünstler und des umfangreichen Abendprogramms ist es vor allem eine symbolhafte Großplastik.


Die Metastadt

Architektonische Vorbilder für die clusterartige Gestalt von "add on" finden sich in den urbanen Utopien der 60er und 70er Jahre. Mit von der Raumfahrt inspirierten Metastrukturen formulierte sich damals ein starkes Unbehagen an den als einengend empfundenen Lebensverhältnissen. Als Alternative träumte man von luftigen Cockpits und transportablen Wohnzellen. Zu nennen wären Yona Friedmans gitterartigen Raumstädte, Moshe Safdies Habitat in Montrael, die japanischen Metabolisten, Kisho Kurokawas Kapselhotel in Osaka, oder die Plug-In Systeme der englischen Gruppe Archigram um Peter Cook.

"add on" praktiziert gegenüber diesen historischen Vorbildern  ähnlich wie der niederländische Pavillon von mvrdv auf der EXPO 2000  eine Strategie der Übertreibung: Es stapeln sich ein Wohnwagen und andere Mobile übereinander, verschiedene Biotope und Gärten schichten sich in die Vertikale, die herkömmlichen Wände sind verschwunden, das Leben wird zur transparenten Plastik.


Environment und dynamisches Theater

Vorbilder für den szenischen Parcours von "add on" finden sich in der Kunstform des Environment und im experimentellen Theater. Beide verbindet der Wunsch, Kunstwerk und Umgebung eins werden zu lassen, resp. die Beteiligten unmittelbar mit einer räumlichen Situation, einer Umwelt (engl. "environment") zu konfrontieren. Historisch berühmt wurde das "Dylaby", das dynamische Labyrinth, das Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Niki de Saint Phalle, Robert Rauschenberg u. a. 1962 im Amsterdamer Stedelijk Museum installierten. In seinen verschieden gestalteten, alle Sinne ansprechenden Räumen wurden die Zuschauer Mitspieler.

Verwiesen sei aber auch auf Tadashi Kawamata, der 1995 am Hauptplatz von Wiener Neustadt einen nestartigen Hochsteg errichtete: Von dort oben öffneten sich auch für jene, die den Platz schon lange kannten, völlig neue Perspektiven.


Platzwechsel

"add on" betreibt Kulturaustausch auf verschiedenen Ebenen: Initiativen aus dem Bezirk werden die Gelegenheit nutzen, um sich zum Teil erstmals in größerem Rahmen vor Ort zu präsentieren. Internationale Künstler kommen für einige Wochen zusammen, leben vor Ort, entwickeln spezielle Projekte und zum Teil direkt mit interessierten Anwohnern zusammen. Etliche der eingeladenen Künstler kommen aus der Slowakei  auch das ein unmittelbarer Nachbar. Und drittens betreibt "add on" einen wien-internen Kulturaustausch: Viele Initiativen aus dem interdisziplinären Kulturbereich sind heute in Wiens zentralem Kulturareal, dem MuseumsQuartier zuhause und bilden dort das quartier21. Für die Dauer von sechs Wochen übersiedeln einige von Ihnen auf den Wallensteinplatz, viele andere beteiligen sich am Abendprogramm. Gleichzeitig werden die  dezentralen Aktivitäten im 20. Bezirk unter dem Titel "Platzwechsel" wieder zurück in das MuseumsQuartier gespiegelt.

Vitus Weh, 2005


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1 Die Publikation "Zur Sache Kunst am Bau. Ein Handbuch für das Durchqueren der Standortfaktoren Architektur, Kunst, Design, Staat, Wirtschaft..." bietet einen Querschnitt über die entsprechenden Diskussionen und Entwicklungen (hrsg. Von Markus Wailand u. Vitus Weh, Wien 1998). Ein breites Spektrum jüngster avancierter Beispiele bietet das Buch "kunstprojekte_riem. Öffentliche Kunst für einen Münchner Stadtteil" (Wien 2004).

 
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